John Niven: Gott bewahre»Mist. Glaubst du, dass Er angepisst sein wird?«

»Angepisst?«, wiederholt Michael. »Scheiße, Er wird ausrasten.«

Selbst Jeannie, Gottes persönliche Assistentin, die sonst durch nichts zu erschüttern ist und normalerweise wie ein Schachgroßmeister fünfzehn oder zwanzig Züge vorausplant, selbst Jeannie ist heute Morgen ein klein wenig gereizt. Sie ist Anfang vierzig, war früher wahnsinnig attraktiv, jetzt nur noch sehr. »Nein, Seb«, herrscht sie einen ihrer beiden Assistenten an, »Er will es chronologisch. Stell diese Kisten da vorn hin.« Jeannie bereitet in Gottes Vorzimmer eine Rückschau der letzten gut vierhundert Jahre auf Erden vor. Da kommt eine Menge Zeug zusammen: Kartons mit Akten, Papieren und DVDs stapeln sich auf einer endlos langen Trolley-Schlange.

Gott kommt aus dem Angelurlaub, der nach Erdenzeit mehrere Jahrhunderte gedauert hat. Neugierig lässt Er sich von den Entwicklungen auf Erden berichten. Zunächst ist Er noch amüsiert, aber bei der Aufzählung aller christlichen Gruppierungen auf Erden vergeht ihm angesichts der schieren Menge das Lachen. Je mehr er darüber hört, was die Menschheit in seiner Abwesenheit angerichtet hat, desto wütender wird er, und sofort schickt er Jesus zurück auf die Erde. Der würde zwar lieber weiter mit verstorbenen Rocklegenden kiffen und jammen, doch ihm bleibt keine Wahl. Angesichts der schnelllebigen Zeiten und der niedrigen Aufmerksamkeitsspanne der Menschen hat Jesus seine Botschaft auf zwei Worte komprimiert: Seid lieb!

Und wie könnte man die Menschen besser erreichen als über das Fernsehen. Er schnallt sich seine Gitarre um und nimmt an »American Idol« teil, dem amerikanischen DSDS.

Das Buch ist nicht blasphemisch (wenn man es nicht anstößig findet, dass im Himmel alle kiffen und übel fluchen), vielmehr kritisiert es nur die organisierte Religion auf Erden und die »Verfehlungen« des Bodenpersonals. Aber darauf beschränkt sich das Buch nicht, sondern holt zum gesamtgesellschaftlichen Rundumschlag aus. Castingshows und ihre Betreiber werden ebenso an den Pranger gestellt, wie die Justizbehörden, die in jedem Andersdenkenden einen potenziellen Terroristen sehen und ihm in den meisten Fällen mit Gewalt begegnen.

Das Buch ist weder eine leichte Komödie noch überdrehter Klamauk, sondern eine beißende Satire. Der Humor ist oft bitter, aber es gibt auch viele Momente, die hoffen lassen. Trotzdem muss man am Ende mit Bedauern feststellen, dass die Gesellschaft wieder nicht bereit war für die Frohe Botschaft.

Mein persönliches Highlight des Buches ist die mitreißende Schilderung von Jesus‘ Interpretation des Springsteen-Klassikers Born to run bei seinem Auftritt in der »American Idol«-Show. Man glaubt die Musik förmlich hören zu können, und das hat mich sehr beeindruckt.

Erwähnen sollte man noch den derben und vulgären Wortschatz der Figuren, der sicher nicht jedermanns Geschmack ist. In Nivens Buch »Coma« leidet die Hauptfigur an dem Tourette-Syndrom, was den inflationären Gebrauch von Fäklasprache zumindest erklärt, aber in »Kill your friends«, das in der Musikbranche spielt, reden einfach alle so. Letzteres hatte ich als Hörbuch im Auto, und es kam des Öfteren vor, dass ich an Ampeln verschämt den Ton leiser drehte.

John Niven: Gott bewahre | Deutsch von Stephan Glietsch und Jörn Ingwersen
Heyne 2011 | 400 Seiten | Jetzt bestellen