Philip Le Roy: PhönixNathan stand auf und verschoss seine Munition in den Himmel wie eine letzte Herausforderung der souveränen Natur, die im Begriff war, ihn erstarren zu lassen. Der glühend heiße Lauf wärmte seine Finger. Dieses angenehme Gefühl dauerte nur ein paar Sekunden. Er steckte ein neues Magazin in die Waffe und schoss erneut, um sich noch ein wenig Wärme zu verschaffen. Dann warf er die Kalaschnikow von sich und ging auf Melany zu, die ihm an der Schwelle zum Tod entgegenkam.

In einem Geheimlabor in Fairbanks, Alaska, werden die Leichen zweier Medizin-Nobelpreisträgers, einer Krankenschwester und eines FBI-Agenten gefunden. Eine fünfte Leiche gibt den Ermittlern Rätsel aus, denn es scheint, als sei sie zweimal gestorben. Der Ex-Profiler Nathan Love, ein Freund des FBI-Agenten, wird mit den Ermittlungen betraut. Allem Anschein nach hatten die medizinischen Experimente das Ziel, Tote wieder zum Leben zu erwecken.

Der Held ist eine Mischung aus Alleskönner und Psychowrack, er kommt einer gewaltigen Verschwörung auf die Spur, die ihn genretypisch rund um die Welt reisen lässt. Die Zutaten dieses Thrillers sind wohlbekannt, aber was der Autor daraus macht, bietet eine wohltuende Abwechslung.

Die Actionszenen sind sehr knapp geschildert und bei unkonzentriertem Lesen könnte man einige fast übersehen, aber andererseits fallen sie so prägnant und verstörend aus, dass man danach erst einmal innehalten muss. Die Figuren sind erwartungsgemäß überlebensgroß, aber im Verhalten fernab aller Charakterschablonen. Ihr Schicksal ist wirklich berührend und es gibt zahlreiche Szenen, die im Gedächtnis bleiben.

»Phönix« sticht aus der Masse an Thrillern vor allem dadurch hervor, dass er nie vorhersehbar ist. Selten zuvor hat mich ein Roman derart häufig überrumpelt. Er ignoriert die Lese- und Sehgewohnheiten von Thrillerfans und umschifft die meisten Hollywoodklischees. Er ist wohl am ehesten zu vergleichen mit den frühen Werken von Jean-Christophe Grangé und Thomas Harris.

Philip Le Roy: Phönix | Deutsch von Michael von Killisch-Horn
Limes Verlag 2011 | 656 Seiten | Jetzt bestellen